Irmgard Sedler
Vernissage „Mythos Wasser“. Angelika Flaig, Weißenfels 1. April 2017
Sehr geehrter Herr Bürgermeister Robby Risch, werte Frau Christina Simon, liebe Frau Angelika Flaig, meine sehr geehrten Damen und Herren,
wer beim Betrachten seiner Einladungskarte auch nur kurz beim „Mythos Wasser“, so der Titel der heute zu eröffnenden Ausstellung verweilt hat, kam hierher in der Erwartung emotionsstarker und symbolisch aufgeladener Bildwerke, die einen ohne Wenn und Aber gefangen nehmen.
Mehr noch: Im Wissen um die vielschichtige, beinahe erdrückende Symbolik des Lebensgrundelements WASSER, stellt sich so manch einem die Frage, wie sich wohl die Künstlerin Angelika Flaig, angesichts einer derart übermächtigen Symbolgeschichte, ihren künstlerischen Frei- und Behauptungsraum zu schaffen vermochte; dieses alles auf einem Schlachtfeld der Symbol-Kontroversen, inmitten eines die bildliche ‚Wasseroberfläche‘ überwuchernden kultur- und kunsthistorischen Gestrüpps, welches dazu noch überfangen ist von einer Erwartungsutopie im streckenweise sinnentleerten Gespinst künstlerischer Äußerungen in Vergangenheit und Gegenwart.
Nun, Angelika Flaigs Position artikuliert sich von der Warte einer künstlerischen Persönlichkeit aus, die Bildräume mit Wortwelten in konzeptuell inszenierender Reflexion zusammenführt.
Dabei schafft es Angelika Flaig, die kulturhistorischen und bildungslastigen Sedimente, die den Steindruck aus seiner geschichtlichen Entwicklung heraus als ursprünglich illustrative Technik in Verbindung zu literarischen Werken beschweren, erfolgreich zu umgehen. Dieses gelingt dadurch, dass ihr beide, Literatur und Kunst, zum existenziellen Erlebnis geworden sind. Beide treten ihr als die Autoritäten entgegentreten, welche das Sinnliche und Geistige im magischen Prozess der künstlerischen Schöpfung zu Sinnstiftendem verweben und verwandeln können.
Hierfür steht auch der biografische Werdegang dieser Künstlerin. Angelika Flaig, 1950 in Schramberg (im Schwarzwald) geboren, hatte an der Universität Stuttgart ein komplettes Literaturstudium absolviert, bevor sie überhaupt mit dem Studium der Malerei begann. Wen wundert es daher, wenn Angelika Flaig die literarischen Referenzen, die als Metaebene in ihren Werken stets präsent sind, als „Hommage“ – hier an den Dichter Immanuel Weissglas, einen Jahrgangsgefährten und Dichterfreund Paul Celans –, sogar im Ausstellungstitel transparent werden lässt.
Ich will anhand einer grundsätzlichen Dimension des Mythos Wasser, jenem des Wassers als Schöpfungselement, die vorher erwähnte Beziehung kurz ansprechen. Da ist auf der einen Seite das Gedicht „Mondquelle“. Diese dichterische Schöpfung ist eine einzige Beschwörungsformel, ein leitmotivisches Evozieren symbolträchtiger Grundelemente des Daseins – Mond, Sand, Feuer, Zeit – und immer wieder das Wasser, mal als Quelle, mal als Träne:
„ENTSPRINGE; NASSER
MOND IM GEMÄUER:
EINE QUELLE WASSER;
EINE QUELLE FEUER.
IM MOOS; IM SANDE;
UND FELSGEBOREN;
GEHT IHR IM LANDE;
MONDTROPFEN; VERLOREN.
DIE TAGE FLIESSEN;
IN TRÄNENFERNE;
UND NÄCHTE VERGIESSEN
DIE TRÄNENSTERNE.
DASS WANGENBLASSER
DEIN ANTLITZ MIR BLIEBE:
EIN SPRUCH WASSER;
EIN SPRUCH LIEBE.“
(Immanuel Weissglas, Der Nobiskrug 1972)
Dieses magische Ritual heraufbeschworener Verwandlung des Sinnlich-Erfahrbaren ins Geistig-Mystische empfindet Angelika Flaig „unlösbar verknotet“ mit dem eigenen Ritual der Kunstschöpfung, mit dem sinnlichen ‚Handanlegen‘ an den Druckstein, dem magischen Moment, in dem tätige Existenzvergewisserung über die Kunst zu Dauerhaftem gerinnt.
Bei Angelika Flaig verschmelzen in dem ihr zum Ritual gewordenen performativen Akt des Steindruckes Planung und Zufall, rationale Überlegung und emotionaler Zugriff zu einzigartigen Kunstgebilden. Es sind dies mehrfach übereinander gedruckte Steinmotive, die sich zu bedeutungsschweren Signaturen zusammenfügen, entzifferbar oder auch nicht, „um das Geheimnis der Schöpfung (hier Kunstschöpfung) zu bewahren“.
Die konzentrierten Titel lassen einen gedanklich an das verrätselte Bildgeschehen andocken: tiefbrunnengesänge“, „quellsuche, sumpf“, styx“, „gezeiten“, „treibgut“, „das lied der fische“ verweisen auf aquatisch durchdrungen Räume und Ereignisse, die ins Visier genommen wurden.
Es sind dies symbolisch vielschichtige Räume, an deren Oberfläche klar umrissene oder mehrfach überlagerte farbdunkle Flächen wirken. Diese sind wiederum von Liniendirektiven in abstrakte Ordnungen gebracht, eine geheimnisvolle Erzählung spinnend, um diese dann auch wieder abrupt abbrechen zu lassen oder sie auf anderen Blättern in Serie weiterzuführen. Denn Angelika Flaig arbeitet gerne in Serien, ein Ansatz, der ihr seit langem schon zum schöpferischen Prinzip geworden ist und bei dem sie das Spiel mit Planung und Zufall bis zur Neige auskosten kann. Eine geometrische Figur auf dem ersten Blatt, die einem die improvisiert wirkende Formfindung (Zufall) nahelegt, erhält plötzlich ein markantes Echo in den Folgeblättern der Serie (Planung) und wandelt sich letztlich zu einer in den Raum strahlenden geistigen Kraft.
Zwischen Flächenüberlagerungen und Linienstrudel platziert die Künstlerin hin und wieder Gegenständliches, etwa Körpersilhouetten oder aber bildnerische Fundstücke. Hier sind es Messer, die als Meta-Figurationen mit den anderen Bildelementen in Beziehung treten und – mal malerisch-poetisch mal in kantig expressiver Wucht – uns urgebärdenhaft suggestiv und emotional auf das Schutzsuchende, das Angreifende, das Verletzende, das Sich dem Tod Übergebende hinführen. Wobei der symbolisch-mythischen Bezug auf die Elemente Wasser und Zeit das Leitmotiv abgibt.
„IN GRUFTGEN KRÜGEN SCHÖPFTE ICH GEDULDEN,
UND HEGTE TROPFEN ZEIT IN ZEITLOS-MULDEN“, um mit Immanuel Weißglas zu sprechen.