Treibgut. 2013

Mythos Wasser

Irmgard Sedler

Vernissage „Mythos Wasser“. Angelika Flaig, Weißenfels 1. April 2017

Sehr geehrter Herr Bürgermeister Robby Risch, werte Frau Christina Simon, liebe Frau Angelika Flaig, meine sehr geehrten Damen und Herren,

wer beim Betrachten seiner Einladungskarte auch nur kurz beim „Mythos Wasser“, so der Titel der heute zu eröffnenden Ausstellung verweilt hat, kam hierher in der Erwartung emotionsstarker und symbolisch aufgeladener Bildwerke, die einen ohne Wenn und Aber gefangen nehmen.

Mehr noch: Im Wissen um die vielschichtige, beinahe erdrückende Symbolik des Lebensgrundelements WASSER, stellt sich so manch einem die Frage, wie sich wohl die Künstlerin Angelika Flaig, angesichts einer derart übermächtigen Symbolgeschichte, ihren künstlerischen Frei- und Behauptungsraum zu schaffen vermochte; dieses alles auf einem Schlachtfeld der Symbol-Kontroversen, inmitten eines die bildliche ‚Wasseroberfläche‘ überwuchernden kultur- und kunsthistorischen Gestrüpps, welches dazu noch überfangen ist von einer Erwartungsutopie im streckenweise sinnentleerten Gespinst künstlerischer Äußerungen in Vergangenheit und Gegenwart.

Nun, Angelika Flaigs Position artikuliert sich von der Warte einer künstlerischen Persönlichkeit aus, die Bildräume mit Wortwelten in konzeptuell inszenierender Reflexion zusammenführt.

Dabei schafft es Angelika Flaig, die kulturhistorischen und bildungslastigen Sedimente, die den Steindruck aus seiner geschichtlichen Entwicklung heraus als ursprünglich illustrative Technik in Verbindung zu literarischen Werken beschweren, erfolgreich zu umgehen. Dieses gelingt dadurch, dass ihr beide, Literatur und Kunst, zum existenziellen Erlebnis geworden sind. Beide treten ihr als die Autoritäten entgegentreten, welche das Sinnliche und Geistige im magischen Prozess der künstlerischen Schöpfung zu Sinnstiftendem verweben und verwandeln können.

Hierfür steht auch der biografische Werdegang dieser Künstlerin. Angelika Flaig, 1950 in Schramberg (im Schwarzwald) geboren, hatte an der Universität Stuttgart ein komplettes Literaturstudium absolviert, bevor sie überhaupt mit dem Studium der Malerei begann. Wen wundert es daher, wenn Angelika Flaig die literarischen Referenzen, die als Metaebene in ihren Werken stets präsent sind, als „Hommage“ – hier an den Dichter Immanuel Weissglas, einen Jahrgangsgefährten und Dichterfreund Paul Celans –, sogar im Ausstellungstitel transparent werden lässt.

Ich will anhand einer grundsätzlichen Dimension des Mythos Wasser, jenem des Wassers als Schöpfungselement, die vorher erwähnte Beziehung kurz ansprechen. Da ist auf der einen Seite das Gedicht „Mondquelle“. Diese dichterische Schöpfung ist eine einzige Beschwörungsformel, ein leitmotivisches Evozieren symbolträchtiger Grundelemente des Daseins – Mond, Sand, Feuer, Zeit – und immer wieder das Wasser, mal als Quelle, mal als Träne:

„ENTSPRINGE; NASSER

MOND IM GEMÄUER:

EINE QUELLE WASSER;

EINE QUELLE FEUER.

IM MOOS; IM SANDE;

UND FELSGEBOREN;

GEHT IHR IM LANDE;

MONDTROPFEN; VERLOREN.

DIE TAGE FLIESSEN;

IN TRÄNENFERNE;

UND NÄCHTE VERGIESSEN

DIE TRÄNENSTERNE.

DASS WANGENBLASSER

DEIN ANTLITZ MIR BLIEBE:

EIN SPRUCH WASSER;

EIN SPRUCH LIEBE.“

(Immanuel Weissglas, Der Nobiskrug 1972)

Dieses magische Ritual heraufbeschworener Verwandlung des Sinnlich-Erfahrbaren ins Geistig-Mystische empfindet Angelika Flaig „unlösbar verknotet“ mit dem eigenen Ritual der Kunstschöpfung, mit dem sinnlichen ‚Handanlegen‘ an den Druckstein, dem magischen Moment, in dem tätige Existenzvergewisserung über die Kunst zu Dauerhaftem gerinnt.

Bei Angelika Flaig verschmelzen in dem ihr zum Ritual gewordenen performativen Akt des Steindruckes Planung und Zufall, rationale Überlegung und emotionaler Zugriff zu einzigartigen Kunstgebilden. Es sind dies mehrfach übereinander gedruckte Steinmotive, die sich zu bedeutungsschweren Signaturen zusammenfügen, entzifferbar oder auch nicht, „um das Geheimnis der Schöpfung (hier Kunstschöpfung) zu bewahren“.

Die konzentrierten Titel lassen einen gedanklich an das verrätselte Bildgeschehen andocken: tiefbrunnengesänge“, „quellsuche, sumpf“, styx“, „gezeiten“, „treibgut“, „das lied der fische“ verweisen auf aquatisch durchdrungen Räume und Ereignisse, die ins Visier genommen wurden.

Es sind dies symbolisch vielschichtige Räume, an deren Oberfläche klar umrissene oder mehrfach überlagerte farbdunkle Flächen wirken. Diese sind wiederum von Liniendirektiven in abstrakte Ordnungen gebracht, eine geheimnisvolle Erzählung spinnend, um diese dann auch wieder abrupt abbrechen zu lassen oder sie auf anderen Blättern in Serie weiterzuführen. Denn Angelika Flaig arbeitet gerne in Serien, ein Ansatz, der ihr seit langem schon zum schöpferischen Prinzip geworden ist und bei dem sie das Spiel mit Planung und Zufall bis zur Neige auskosten kann. Eine geometrische Figur auf dem ersten Blatt, die einem die improvisiert wirkende Formfindung (Zufall) nahelegt, erhält plötzlich ein markantes Echo in den Folgeblättern der Serie (Planung) und wandelt sich letztlich zu einer in den Raum strahlenden geistigen Kraft.

Zwischen Flächenüberlagerungen und Linienstrudel platziert die Künstlerin hin und wieder Gegenständliches, etwa Körpersilhouetten oder aber bildnerische Fundstücke. Hier sind es Messer, die als Meta-Figurationen mit den anderen Bildelementen in Beziehung treten und – mal malerisch-poetisch mal in kantig expressiver Wucht – uns urgebärdenhaft suggestiv und emotional auf das Schutzsuchende, das Angreifende, das Verletzende, das Sich dem Tod Übergebende hinführen. Wobei der symbolisch-mythischen Bezug auf die Elemente Wasser und Zeit das Leitmotiv abgibt.

„IN GRUFTGEN KRÜGEN SCHÖPFTE ICH GEDULDEN,

UND HEGTE TROPFEN ZEIT IN ZEITLOS-MULDEN“, um mit Immanuel Weißglas zu sprechen.

K1024_Silvio inspiziert sein Land

Land am Wasser

Ausgezeichnet mit der Goldenen Taube der DOK 2015 in Leipzig

LAND AM WASSER

Ein Film von Tom Lemke/ Musik von Falk Zenker

Silvio lebt in einem Geisterdorf. 1998 wurden die Bewohner umgesiedelt, damit die Braunkohle darunter abgebaut werden kann.

Vor über 900 Jahren nannten die ersten Siedler den Ort „Land am Wasser“, weil ein kleiner Bach durch die Landschaft fließt. Mit diesem Wasser bestellt Silvio kleine Agrarflächen im Dorf und tränkt sein Vieh. Seinen Heimatort, der nutzlos geworden war, hat er so als Landwirt wieder erobert. Wie lange er hier seinen Lebensunterhalt noch verdienen kann, ist ungewiss. Niemand weiß, wann die Tagebaubagger hier letztendlich ankommen werden. Allgegenwärtig ist das Geräusch des Förderbandes, das seit Jahrzehnten in wenigen Kilometer Entfernung ununterbrochen Kohle transportiert. Die Häuser des Dorfes werden zwar nach und nach abgerissen, aber Silvio ist nicht allein.  Sein Nachbar schmiedet im über hundertjährigen Familienbetrieb weiter gegen die Zeit und Norbert, vom ebenfalls betroffenen Nachbarort, rebelliert als Letzter eisern gegen die Umsiedlung. Manchmal kommen auch ehemalige Bewohner vorbei. Man hilft sich noch immer und nebenbei verschwindet eine ganze Dorfgemeinde. Als auch die letzten Mitbewohner den Ort verlassen haben, versucht Silvio, sich weiter gegen das Unvermeidliche zu stemmen. Wohl wissend, dass das Ende nicht aufzuhalten ist.

Dass der Film „Land am Wasser“ im Kunstprojekt BRAND-SANIERUNG gezeigt wurde, ist nicht von ungefähr. Das Haus in der Novalisstraße 13, einst Fabrikvilla der ehemaligen Schuhfabrik Straumer wäre längst der Verfallsgeschichte des Ostens anheimgefallen, wäre hier nicht vor über fünfzehn Jahren die Kunst eingezogen, die sich nach wie vor hartnäckig und mit einem erstaunlich langem Atem gegen vorherrschenden Meinungen und Verwaltungspolitik behauptet.

Der  Pressefotograf Peter Lisker hat die Umsiedlung des Ortes Grunau 1997 und 1998  für die Mitteldeutsche Zeitung  fotografisch dokumentiert. Mit über zwanzig Fotoarbeiten wurde  im Rahmen dazu eine Ausstellung  eröffnet, die die Fragen aus einer anderen Perspektive aufgriff und die Grundlagen für weiterführende Diskussionen bot.     

Hier einige Impressionen

K1024_88. In Erwartung der Ga¦êste 2014

Rätsel der Tiefe

Ausstellung vom 4.6.-  31.7.2016

Das Rätsel der Tiefe

Malerei und Grafik von Jürgen Rennebach

Den Künstler Jürgen Rennebach aus Nordhausen möchte ich zunächst mit wenigen Sätzen zu seiner Biographie vorstellen und dann mit Blick auf einige seiner Bilder.

1960 in Nordhausen geboren, hat er von Kindheit an gezeichnet und gemalt. Als ich ihn vor fast fünfzig Jahren kennenlernte, war das Talent, das in dem damals Elfjährigen steckte, schon deutlich erkennbar. Zusammen haben wir in der Altstadt von Nordhausen Fachwerkhäuser aufs Papier gebracht, die heute längst verschwunden sind. Als junger Mann hat er sein Handwerk grundsolide, „von der Pike auf“, gelernt, zunächst als Werbegestalter und dann als Theatermaler in Nordhausen.

Später studierte er an der Hochschule für Bildende Künste in Dresden bei namhaften Lehrern Bühnenbild. Als Bühnen- und Kostümbildner hat er dann an den verschiedensten Theatern in Deutschland gearbeitet, erwähnt sei hier nur Bochum.               

Später war er als Ausstellungsgestalter und Schöpfer von Architekturmodellen tätig. So hat er das wohl schönste Modell des Salomonischen Tempels in Deutschland geschaffen; es befindet sich im Canstein Bibelzentrum zu Halle. Zusammen haben wir beide vor sechzehn Jahren die Dauerausstellung „Bibel-Kloster-Luther“ im Augustinerkloster Erfurt entwickelt und realisiert, die für das Reformationsjubiläum 2017 kaum überarbeitet werden musste.

Die damals gesammelten Erfahrungen fließen in seine jetzige Tätigkeit ein. Seit 2006 leitet Jürgen Rennebach das Museum Tabakspeicher in Nordhausen, in dem sehr interessante Veranstaltungen und ungewöhnliche Ausstellungen stattfinden. Als Beispiel sei nur eine über die Trinkgewohnheiten in der DDR genannt, passend zur Stadt des „Nordhäuser Doppelkorn“. Das brachte Jürgen Rennebach damals eine Reihe von Rundfunkinterviews ein.

Und dann gibt es gleichsam noch ein zweites Leben, das um das Jahr 2000 herum beginnt. Seine Arbeit ließ es damals mehr oder weniger zu, sich seiner eigentlichen Passion zu widmen, der Malerei. Ein Bild aus der Frühzeit trägt den Titel Entsetzen II“ (2001) und zeigt den Blick in einen Sicherungskasten mit zum Teil abgerissen Kabelenden. Diese Arbeit belegt, dass sich die Motivsuche Jürgen Rennebachs anfangs in unspektakulären Bereichen der Lebens vollzog, so auch bei „Clemens in der Unterwelt“ (2005). Wem von uns war es nicht unheimlich, wenn man als Kind in einen dunklen Keller geschickt wurde? So scheint es auch dem kleinen Clemens in diesem Bild zu ergehen. Aber seine Angst wird womöglich noch durch die dunklen Schatten von zwei Menschen gesteigert, die sich in das schwach erleuchtete Viereck vor ihm schieben. Eine beklemmende, vieldeutige Situation und wir können nur hoffen, dass die Sache gut ausgeht.

In den folgenden Jahren hat der Künstler dann sein Handwerkszeug gründlich ausgebildet, verfeinert und eine große formale Sicherheit gewonnen. Komposition, Zeichnung und der Einsatz der Farbe bilden bei ihm stets eine spannungsvolle Einheit. Unerschöpflich scheint sein Ideenvorrat zu sein, ungebrochen ist die beeindruckende Sicherheit im Umgang mit Farben und Formen. Gerade die Bilder aus den letzten Jahren haben noch an Leuchtkraft gewonnen.                                                                                     

Jürgen Rennebach spielt locker mit unseren Wahrnehmungsgewohnheiten und führt uns gelegentlich in die Irre. Rätselhafte Bildtitel locken den Betrachter in Deutungslabyrinthe, aus denen er nur durch ein assoziatives Sich-Treiben-Lassen herausfindet.

Die Gewohnheit, zuerst das Schildchen neben dem Bild und dann erst dieses selbst anzuschauen, wird nicht belohnt. Denn die Titel erklären zumeist nichts, sondern stellen poetische Brücken zu den Bildern dar.

Die Bildunterschriften sollen nicht selten beunruhigen und das Nachdenken anregen. So sind sie oft bewusst mehrdeutig gehalten.

Ein Beispiel: Mit „Rotverlichtung“ (2003) gibt uns der Künstler ein zweifaches Rätsel auf. Zunächst mit der Gemälde-Collage selbst. Unvermittelt stoßen da abstrakte, helle und bräunlich-dunkel strukturierte Farbflächen aufeinander und bilden so eine Art X. Rechts scheint es goldgelb durch das Dunkel, unten sieht man ein kleines rotes Dreieck. Dem antwortet ein größeres, ebenfalls rot, das von oben ins Bild stößt.

Schaut man genau hin, so entdeckt man darin eine kopfüber abstürzende Figur. Aber was ist die Bedeutung? Vielleicht hilft uns ja der Bildtitel weiter? Doch schon stehen wir vor einem weiteren Rätsel: „Rotverlichtung“.

Weiß jemand, was das ist? Kennt jemand das Wort? Natürlich wäre es das Einfachste, den Künstler selbst zu fragen, was er damit meint.

Aber dem hat dieser schon rechtzeitig einen Riegel vorgeschoben. Auf seiner website juergen-rennebach.de findet sich vorab ein lapidares Motto. Es ist ein Zitat von Johann Wolfgang von Goethe und lautet: „Bilde, Künstler, rede nicht!“ Daran hält sich Jürgen Rennebach, was seine Kunst betrifft.

Er wird uns also keine Auskunft geben. Denn er hat schon alles gesagt. Nur in einer anderen Sprache als die, die wir aus dem allfälligen Gerede kennen.

Durch seine hohe Abstraktion ist „Rotverlichtung“ ein sehr offenes Kunstwerk.

Das heißt, es gibt nicht die eine verbindliche Interpretation, sondern jede(r) könne ihre/seine ganz subjektive Sicht an das Bild herantragen. Dabei gibt es kein „richtig“ oder „falsch“. Wenn man rot sieht, schwingt natürlich viel mit. Die Alltagsmetaphorik weist in Richtung Wut. Aber das Bild ließe sich auch durchaus politisch interpretieren. Denn die Farbformen scheinen sich konfrontativ zu begegnen, allerdings ohne einem Schwarz-Weiß-Schema zu verfallen. Es ist eine komplexe Situation, die durch das eindringende Licht von links aufgehellt wird, eben als „Rotverlichtung“. Dieses aber als politisches Statement zu verstehen, wäre zu billig.  

Versucht man die Arbeiten, die in Weißenfels ausgestellt waren, ein wenig zu ordnen, so ergeben sich für mich zwanglos drei Werkgruppen.

I.                                                                                                                                             

Die erste umfasst, formal gesehen, Landschaften und Veduten, also Stadtansichten. Diese werden nun nicht einfach abgemalt, sondern Erinnerungsspuren werden spannungsvoll gestaltet, Farbfläche gegen Farbfläche gesetzt, mit einer deutlichen Neigung zu gesteigerter Abstraktion.

Ein sehr schönes Beispiel ist für mich das Bild „Die Platanen von Pézenas“ (2015), das auf einen Aufenthalt des Künstlers in Südfrankreich zurückgeht. Deutlich ist eine kleine Ladenstraße zu erkennen und die hellen Stämme der Platanen. Doch in der oberen Bildhälfte kann man statt belaubter Bäume auch einen dunklen, bedrohlichen Nachthimmel sehen, in den sich die Äste wie dürre Finger recken.

Jürgen Rennebach hat mitunter auch den Mut, sich durchaus sehr bekannten und oft dargestellten Motiven zu stellen, wie zum Beispiel Venedig oder der Karlsbrücke in Prag. Zwar ist letztere sofort als solche erkennbar, aber mit der ungewöhnlichen Farbigkeit des Hintergrundes und der strengen Reduzierung der Gestalten wird eine ganz eigene Atmosphäre erzeugt, die mit den Bildtitel „Nachsaison“ (2015) treffend erfasst wird.

Ähnlich ist es bei „Sera“ (2015). Unschwer zu erkennen – ein Seitenkanal in Venedig. Hohe Häuser, eine Brücke, einige Boote. Natürlich eine Gondel mit Gondoliere. Das könnte leicht zum Kitsch geraten. Aber genau dies ist hier vermieden.

Eine stille Atmosphäre ist in dem Bild eingefangen. Der Titel Sera (italienisch: Abend) gibt uns einen wichtigen Hinweis. Es ist Abend in Venedig, die Touristenmassen haben die Stadt verlassen und die letzte „Aida“ hat abgelegt.Die alte Königin der Meere kann aufatmen und ihre Bewohner können sich entspannen. Bis zum nächsten Tag.

Bei einigen Landschaftsgemälden wird die Abstraktion derart vorangetrieben, dass die Gegenstandswelt weitgehend verlassen wird. Gerade dadurch regen die erkennbaren Bildstrukturen die Phantasie an. Diese Werkgruppe möchte ich mit Metaphysische Landschaften überschreiben.

Ein Beispiel ist das Bild, das auch den Titel für die Ausstellung abgab. Es heißt „Das Rätsel der Tiefe“ (2016). Zu sehen ist eine weiträumige, karge, nördliche Landschaft in Violett- und Ockertönen, über die sich ein hellblauer Himmel spannt. Diesem scheint eine Wasserfläche in der unteren Bildhälfte zu antworten. Doch da setzt die Irritation ein, die durch die kleine Figur eines Anglers noch gesteigert wird. Denn da weist der Raum Anomalien auf, scheint nach links unten zu entschwinden und stellt uns somit vor ein Rätsel, eben „Das Rätsel der Tiefe“.

Zu den Metaphysischen Landschaften gehört zweifellos „Hommage à C.D. Friedrich“ (2016), ein Bild, das nicht in Weißenfels zu sehen war.                                                            Es zeigt eine ruhige Flusslandschaft mit teils baumbestandenen Ufern unter einem schweren Himmel. Diese stille Situation wird durch das kleine dahintreibende Boot nicht gestört, im Gegenteil.

Zu diesem Bild gibt es eine Entsprechung von einem der ganz Großen der romantischen Malerei: 1832 malte Caspar David Friedrich „Das große Gehege bei Dresden“. Es ist eine ähnliche stille Flusslandschaft mit Baumgruppen und einem Segelboot unter einen weiten Abendhimmel.

Die Flussbiegung und das schmale Wolkenband bilden bei Friedrich Hyperbeln, also Kurven, die aus dem Unendlichen kommen und wieder dorthin schwingen. Das ist kein Zufall. Friedrich setzte ins Bild, was der Theologe Friedrich Schleiermacher in dieser Zeit so formulierte: „Religion ist Sinn und Geschmack fürs Unendliche“.

Nun ist Jürgen Rennebach kein religiöser Mensch und ihm hat beim Malen Friedrichs Bild nicht vor Augen gestanden. Und doch beinhaltet auch seine Flusslandschaft eine metaphysische Dimension, indem sie symbolisch über sich hinausweist und zum Nachdenken anregt.

Denn der Fluss ist stets auch ein Bild für Zeit und Vergänglichkeit. Wer an seinen Ufern sitzt und in das dahinfließende Wasser schaut, dem werden sich vielleicht die großen metaphysischen Fragen nach dem Wesen von Sein und Zeit eröffnen. Ich erinnere nur an den Satz des alten griechischen Philosophen Heraklit: „Wir steigen in denselben Fluss und doch nicht in denselben, wir sind es, und wir sind es nicht.“ (Herakleitos, fr. 49 a; Nr. 16)

Ein weiteres Beispiel für die Bandbreite und Vielfalt der Bildmotive Jürgen Rennebachs ist „Das östliche Tor“ (2015). Eine karge, fast öde Landschaft in dunstig-milchigem Licht. Links ein herbstlicher Baum, der uns einen Ast mit wenigen Blättern entgegenstreckt. Rechts der Mitte ein Strommast ohne Leitungen, wie ein Relikt einer untergegangenen Zivilisation.

Dazwischen, ganz in der Ferne, ein Tor, das asiatisch anmutet. Wie ein Zeichen steht es in der Landschaft, wie ein Symbol. Darüber im Dunst die Andeutung einer Sonne. Es liegt eine eigenartige Stimmung über dieser Gegend, die die Nachdenklicheren zum Verweilen einlädt. Der Philosoph Gernot Böhme äußerte einmal den Gedanken, dass sich uns die Bilder über Atmosphären erschließen. Das geschieht jedoch nur, wenn man sich für sie Zeit nimmt.

Mit „Bikini-Atoll“ (2015) setzt Jürgen Rennebach noch einen ganz anderen Akzent. Landschaft ist hier eher in Andeutung zu sehen, eindeutig ist nur das Meer und der Himmel. Der wird dominiert von einem großen Flugzeug, das über uns hinweg in den Bildraum donnert. Der Titel suggeriert scheinbar Bekanntes, eben den Bikini. Den Älteren aber ist vielleicht noch geläufig, dass der Bikini-Atoll ein Teil der Marshall-Inseln im Pazifik war. Dort fanden in den 40er und 50er Jahren des vorigen Jahrhunderts zahlreiche Kernwaffentests der USA statt. So wie das Flugzeug im Bild platziert ist, ruft es die Angst vor der Bedrohung durch Atomwaffen wieder in uns wieder wach. Und diese ist durchaus aktuell, denn Nordkorea drohte noch bis vor kurzem unentwegt mit dem atomaren Erstschlag.

II.

Nach diesem ersten Kapitel der Städte und Landschaften möchte ich zu einer zweiten, ganz anderen Werkgruppe kommen. In ihr lassen sich die Bilder mit erotischen Anspielungen zusammenfassen. Es sind ungewöhnliche Blickwinkel und Konstellationen, die neben einer delikaten Farbigkeit Rennebachs Bilder so interessant machen. Dies gilt auch für seine Darstellungen des nackten weiblichen Körpers. Keine Akte im landläufigen Sinne sind das, sondern man fühlt sich zuweilen als Betrachter in Geschichten oder Konflikte hineingezogen, deren Ausgang man nicht in jedem Falle miterleben möchte.

Doch lassen wir es scheinbar unspektakulär beginnen: Drei leicht bekleidete Frauen in einem kaum möblierten Raum. Eine liegt entspannt auf einer Liege und nestelt an ihrem BH, eine andere steht unschlüssig da, während die dritte leicht angespannt auf den Betrachter zuzugehen scheint. Befinden wir uns hier in einem Bordell? Dann wäre der Titel des Bildes ironisch gemeint: „In Erwartung der Gäste“ (2014), also der Freier.

Doch ist dies nicht zwingend und die Situation wie auch ihre Interpretation bleiben offen. Denn der durch locker gesetzte Farbflächen und ein Fenster sparsamst angedeutete Raum muss kein Innenraum sein. So kann die vermeintliche Bordellszene ebenso als der Beginn einer harmlosen sommerlichen Gartenparty angesehen werden. 

Weniger harmlos hingegen scheint mir das Bild „Zwischen den Beinen“ (2013) zu sein. Allein die Draufsicht auf eine kniende nackte Frau, die den Kopf gesenkt hat und der rote Untergrund schaffen schon eine Atmosphäre der Beklemmung. Der hinter ihr stehende Mann, von dem man fast nur die Füße mit den dandyhaften Schuhen sieht, definiert die Situation: Assoziationen von Bedrohung, Unterdrückung, Demütigung, Forderung und    Verweigerung stellen sich unwillkürlich ein.                                                                                                                                                                                                             

Der Bildtitel „Zwischen den Beinen“ bleibt so nicht einfach eine Beschreibung dessen, was zu sehen ist, sondern lässt in seiner Doppeldeutigkeit an sexuelle Nötigung und Schlimmeres denken. Die knapp andeutende Körpersprache in Verbindung mit dem aufreizenden Untergrund scheint kaum eine andere Interpretation zuzulassen. 

Um dieses Kapitel aber nicht zu sehr in düsteren Vermutungen zu belassen, möchte ich es mit einem Blick auf das heiter-erotische Bild Im Angesicht der Juwelen“ (2015) fortsetzen. Es bedarf eigentlich keiner Erklärung, wenn man sich darauf einlässt, das „Juwelen“ hier doppeldeutig gemeint sein könnte. Folgt man jedoch dem Blick des Mannes in der rechten Bildecke, so wird sofort klar, was für ihn die „Juwelen“ sind.

Eine ganz andere Welt eröffnet uns  „Zarathustras Traum“ (2015). Mit sparsamen Mitteln, in Kohle und Acryl, wird der Blick von unten auf eine Seiltänzerin gezeigt. Gelbe Flächen, ein kleiner roter Akzent und ansonsten die flatternden Gewänder, die vielleicht  die Angst vor dem Absturz ausdrücken. Was hat das mit Zarathustra zu tun? Wer das berühmte Buch von Friedrich Nietzsche gelesen hat, wird sich an den Seiltänzer in Kapitel 6 der Vorrede erinnern.

Dieser war gerade dabei, seine Kunst dem Volk auf dem Markt vorzuführen, als ein böser Possenreißer ihn provoziert und seinen Sturz vom Seil bewirkt. Zarathustra ist Zeuge dieses Unglücks.

Zitat Nietzsche: „Zarathustra aber blieb stehen und gerade neben ihn fiel der Körper hin, übel zugerichtet und zerbrochen, aber noch nicht todt.“ Der Sterbende zieht ein trauriges Resümee seines Lebens: „Ich bin nicht viel mehr als ein Thier, das man tanzen gelehrt hat, durch Schläge und schmale Bissen.“  Aber Zarathustra tröstet ihn: „ […] du hast aus der Gefahr deinen Beruf gemacht, daran ist Nichts zu verachten. Nun gehst du an deinem Beruf zu Grunde: dafür will ich dich mit meinen Händen begraben.“ Ob das ein Trost ist, weiß ich nicht. Mir scheint, dass Jürgen Rennebachs Zarathustra etwas anders ist. Er träumt davon, dass eine Frau auf dem Seil tanzt und das diese nicht herunterfällt, auch wenn sie die Gefahr zu ihrem Beruf macht.

III.                                                                                                                        

Eine dritte Gruppe von Bildern spielt mit Witz, Ironie und Irritation.

Als Überleitung von den erotischen Bildern eignet sich sehr gut „Leuchtender Abgang“ (2009). Hier braucht man nichts zu erklären oder zu interpretieren. Sobald man das Bild sieht und den Titel liest, muss man unwillkürlich schmunzeln. Hinweisen möchte ich aber auf die sehr schöne Farbigkeit und den gekonnten Bildaufbau mit seinen verkürzten Perspektiven.

Makabre Ironie steckt möglicherweise in der Arbeit „Entwichen“ (2012). Das aufgesägte Fragment eines menschlichen Schädels wird da in einer musealen Situation präsentiert.

Entwichen ist aus dem Schädel so ziemlich alles: Hirn, Leben, Seele und Geist. Eine Anspielung auf unsere Vergänglichkeit, die ihre literarische Entsprechung vielleicht in Hamlets Monolog über Yoricks Schädel hat.

Makaber könnte auch Des Rätsels Lösung“ (2005) sein, wenn man den schwarzen Punkt im Gesicht des Kindes als ein Einschussloch deutet. Aber diese Lösung wäre mir dann doch zu schrecklich. Deshalb möchte ich empfehlen, nach einer anderen zu suchen.

Leider werden Künstler zu oft als bloße Dekorateure und „Behübscher“ von Wohnzimmern missverstanden; und ihre Bilder danach beurteilt, ob sie „schön“ sind, da heißt ob sie übers heimische Sofa passen würden.

Aber darum geht es in der Kunst nicht. Der Künstler sieht die Welt mit seinen Augen, er erfasst eben vieles intuitiv, ja, hellsichtig, was bei anderen über den Kopf läuft. Wenn einer dann, wie Jürgen Rennebach, sein Handwerkszeug so gründlich ausgebildet hat, stoßen wir auf eine Bildsprache, die nicht nur formal stimmt. Hier hat einer mit Tiefgang, aber auch mit Witz und Poesie, mit Frechheit und Mut zum Konventionsbruch Bilder gemalt, die uns etwas zu sagen haben.

(Ausgangspunkt für den vorliegenden Text war meine Rede zur Vernissage der Ausstellung „Das Rätsel der Tiefe“ in der Galerie  „Brandsanierung“ am 4. Juni 2016. Der ursprüngliche Text wurde für die Veröffentlichung bearbeitet und erweitert.)

Walter Martin Rehahn

Theologe und Kunsthistoriker in Halle (Saale)

Bilder der Ausstellung

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Hohelied

Das Hohelied Salomos

Ein  musikalisch-künstlerisches Projekt des  Kunstvereins  BRAND-SANIERUNG e.V. mit der Kirchengemeinde St. Marien zu Weißenfels und dem Weißenfelser Musikvereins „Heinrich Schütz“ e.V.

Johannn Wolfgang von Goethe bezeichnete das Hohelied Salomos, als das „schönste Liebesgedicht der Welt“. Seit tausenden von Jahren ist dieser alttestamentliche Text Inspirationsquelle für Künstler verschiedener Genres. Immer wieder wird er neu befragt, geben Musiker oder Maler ihre Antworten darauf, übersetzen Dichter ihn neu oder legen ihn Exegeten aus.

Die Liebe gehört zum Menschsein. Sie wird von Eros und Sexus getragen und hat die Kraft, über den Tod hinaus zu verweisen.                                                                                                   In unserer Welt, die zunehmend geprägt ist von Nervosität und Unbeständigkeit, Lebensbrüchen und unerfüllten Sehnsüchten, erscheint es um so notwendiger, die Frage nach der alles verbleibenden Kraft und der Macht der Liebe neu zu stellen.

Der Alttestamentler Gerhard Begrich, der das Hohelied Salomos 2014 neu übersetzt hat, mutet mit seiner Antwort in einer Gesellschaft, die sichtbar von Gottferne geprägt ist, fast avantgardistisch an. Er behauptet: In der Liebe ist  die Rückkehr ins Paradies jederzeit möglich ist, denn in der Liebe sind wir bei Gott.

Das Kunst- und Kulturprojekt BRAND-SANIERUNG e.V. sieht seit über einem Jahrzehnt seinen Auftrag u.a.darin, auf die Quellen der jüdisch-christlichen Tradition zurückzugreifen und mit bildkünstlerischen Mitteln zu antworten, um den Betrachter zum Dialog aufzufordern.  Das zeigt sich in einer Diasporalandschaft, wie dem Süden Sachsen-Anhalts umso wirkungsvoller, je dichter die Vernetzung der unterschiedlichen Perspektiven und die Kommunikation zwischen den Insitutionen gelingt.  Erneut ist es der BRAND-SANIERUNG mit diesem Ausstellungsprojekt gelungen, die theologische, die musikalische, die poetische und die bildnerische Ebene thematisch miteinander zu verknüpfen und Kooperationspartner zu gewinnen, um Identitäten zu stärken, in einer Region, die sich nach wie vor kulturell und wirtschaftlich neu aufstellen muss.  

Hier ein Bilder der Austellung